2046

Freitag, 22. Februar 2008

Topographie 03

Geschrieben von sjAlfur unter 2046

47°37'22"N - 10°12'40"O - Blickrichtung: Ost
In meiner Erinnerung bleiben Fotos von mir. Nicht deshalb, weil ich mit Narziss auf Bruderschaft getrunken hätte, sondern deshalb, weil es nur sehr wenige Bilder gibt, auf denen ich meinen eigenen Anblick ertrage. Zumindest war das sehr lange Zeit der Fall. Bezeichnend ist folgendes Bild:
Ich stand auf einem großen Stein, ringsum war Wasser, und das betraf vor allem die Vertikale. Während links und rechts des Steins ein seichter, schmaler Bach floss, wirbelte ein hoher Wasserfall hinter mir Gischt um mich herum. Wir waren tief im Wald, rutschige schmale Pfade hatten uns hinab an diesen Punkt geführt, ein kleines aber tiefes Tal, schmal wie eine Schlucht, das Tageslicht drang grau und gefiltert hinab. Die Gischt glühte wie eine Corona von weit oben.
Das Bild zeigte mich als Schatten, ein gutes Stück über dem Erdboden auf einem großen Stein, und klein vor dem hohen Wasserfall, in Wolken aus Gischt, verzerrt und auf eine Weise genau an dem Platz, dem ich mich zugehörig fühlte. Damals. Sichtwinkel ändern sich mit der Zeit. Der Stein unter mir ist verschwunden, der Boden schwammig, aufgeweicht, der Weg mühsam, aber beim zurückblicken bin ich erstaunt über die Strecke, die ich seitdem zurückgelegt habe... Nur die Größe der Schlucht, des Wassers, der Bäume haben sich nicht geändert. Dagegen ist jedes Gebäude ein Witz.

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Donnerstag, 21. Februar 2008

Topographie 02

Geschrieben von sjAlfur unter 2046

45°26'30"N - 10°59'51"O - Blickrichtung: Ost
Die Brust schimmert golden in seiner Hand, das Gesicht errötet - und das nicht nur vom Sonnenbrand. Lebemann war er, sicher, zumindest in Sachen italienischer Wein und Hachez-Schokolade. Aber er war zu bodenständig und prinzipientreu für so etwas. Der traditionelle Griff an die entblößte Brust der Julia, die überall sonst genauso verwittert war wie ihre weniger attraktiven und vorzugsweise männlichen Nachbarn auf Brunnen und Verkehrsinseln, war ein Tribut an seine Schüler. Ich stand im schatten des Balkons und musste unwillkürlich an Claire Danes denken und grinsen.
Ich war jung genug um in dem Alter zu sein, einen Namen an die Wand zu kritzeln. Ich habe nie erzählt, welchen... und vermutlich bleibt das auch besser so. Zwischen den Millionen anderen Namen, wird er wohl sowieso nie gefunden werden können, schon gar nicht von mir selbst. Der Platz des Namens ist vergessen, fast ebenso die dazu gehörige Person. Alles verblasst, nur Namen, die bleiben...
[Und nein, der Name war nicht Claire... bevor hier jemand was reindeutet... Nicht dass ich die damals nicht... aber lassen wir das.]

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Topographie 01

Geschrieben von sjAlfur unter 2046

43°46'23"N - 11°15'21"O - Blickrichtung: Nord
Eigentlich begann alles im Süden. Ein Blick über die Dächer der Stadt hatte bereits von den Gärten aus gereicht. Es hätte keinen Grund gegeben, sich absichtlich in das Bad aus Menschen, Hitze und Lärm zu werfen, aber es gibt Situationen, da ist der Gruppenzwang stärker. Als ich meinen Kopf an der großen Sonnebrille des Wachmanns vorbei in das kühle Treppenhaus streckte, pochte mir dumpf der Schädel. Ich hatte es nicht besonders eilig mit dem Treppensteigen, die Kühle des alten Gemäuers, die relative Stille... aber die Menschen hinter mir wollten nach oben, und die Treppe war zu eng zum überholen.
Als ich auf dem Dach angekommen war, schlug die Sonne wieder zu. Ein Blick zur steinernen Brüstung. Die Dächer ringsum ließen mich zweifeln, ob die Erdoberfläche wirklich das Pflaster der Straßen und Plätze dort unten war, oder nicht in Wahrheit die sonnenwarmen Schindeln, doch als ich mich dem Gelände weiter näherte, wurde der weit unten liegende Domplatz nur allzu überzeugend. Wärme, Schlafmangel und ein Gefühl von Gleichgültigkeit ließen mein akrophobisches Herz höher schlagen. Ich beugte mich nach vorne und blickte in den Strudel. Die Geräusche verschwanden, die Schwerelosigkeit ebenso, nur ich allein, ich und die Höhe...
Ich spürte einen Griff an meiner Schulter und sofort schossen Stimmen, Hitze und Panik zurück in meinen Körper. Ich blinzelte eine Sekunde und fasste mich selbst. "Nicht runterfallen..." hörte ich neben mir. "Danke" dachte ich, doch seitdem schwindet die Höhe...

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Dienstag, 8. Januar 2008

- / -

Geschrieben von sjAlfur unter 2046

Nein, ich denke nicht. Orte sind was gutes. Aber nur im Plural.


Und mal wieder eine Rückkehr. Mittlerweile nur noch eines unter vielen Kapiteln. Weihnachten war. Und Silvester. Und Gesichter von früher. Viele leer, viele anders. Und so. Das übliche. Und ein Blog, das fast einen Monat eigentlich nicht wirklich gebraucht wurde. In Vergessenheit geraten ist. Dieser Beitrag ist eher ein Platzhalter. Ein stiller Ping in die leere Weite der Feedreader. So wie die meisten Einträge zuvor auch.
Ich habe es nicht so mit der Sesshaftigkeit. Diese Stadt ist grau, tot und leer. Lebendig wird sie erst, wenn sie in meinen Erinnerungen, Tagträumen und Angstvisionen wieder auftaucht. Dann leben dort die Geister wieder. Vielleicht auch die Schatten. Wer weiß das schon.
Der vorige Absatz gilt für jeden erdenklichen analogen und digitalen Ort, an dem ich mich für mehr als zwei Wochen bewegt habe. Oder auch nicht bewegt. Das kommt auf den Maßstab an.
Der perfekte Ort für mich wäre in der Nähe keines bekannten Ortes. Das ist gut. Das heißt, er muss in den Nähe jedes bekannten Ortes sein und damit an einem Punkt, der soweit entfernt von uns ist, dass er nur als kleiner Punkt auf einer großen Landkarte zu sehen ist.

- Wir zogen aus und sahen das Netz. Es funkelte. Wir dachten, es müsse die Essenz von Magie sein, entstanden unter den Händen von Wissenschaftlern, die sich über die Grenze des Möglichen wagen wollten. Als wir zurückkehrten in unsere Hütte sahen wir, dass auch dieses silbrig schimmernde Netz nur das Werk von Schmieden war, so gewöhnlich wie alles, was sie produzierten. -


Nein, ich denke nicht. Orte sind was gutes. Aber nur im Plural.

"death to your concern and
death to my return and
death to my hometown
death to your regret and
death to my respect and
death to my hometown"

[ "death to my hometown" - logh ]

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Freitag, 16. November 2007

Fear and Loathing in SVD

Geschrieben von sjAlfur unter 2046

"...du mich auch Alter!"
Sie saßen am Wohnzimmertisch und tranken. Es kam nicht mehr darauf an, was sie tranken. Sie hatten in den letzten Stunden alles halbwegs flüssige durcheinander getrunken, und während die ersten Partyopfer nüchtern mit hämmerndem Echo im Kopf nach Hause zogen und die jüngsten Gefallenen geräuschvoll in die Duschkabine kotzten, diskutierten sie über die Wette mit dem Sekt. Und dem Aspirin. Drei Flaschen Sekt standen dort. In eine war am Anfang des Abends, als die Dinge noch bunt und lustig schienen, eine Tablette Aspirin gebröselt worden. Das sollte ja verheerende Wirkungen haben. Hatten sie gehört...
Nun wurde gewettet. Sechs Leute. Immer zwei eine Flasche. Wer die mit dem Aspirin erwischt, hat Pech gehabt. Die anderen steigern ihren Promillewert nur noch um einige unbedeutende Punkte. Draußen schlief ein einzelner auf der Terasse in der Kälte. Direkt neben dem Plakat von Angela Merkel, dass sie auf dem Rückweg vom Dönerladen von einer Laterne gerupft hatten, und das auf der Terasse Opfer von Frostschutzmittel, Flammen, Urin und Tesatz, der nach Erbrochenem aussah, geworden war.
Die sechs am Tisch sahen zu den Sektflaschen. Einer rollte die Reste seines mittlerweile kalten Döners aus der Alufolie und garnierte diesen mit Gummibärchen. Sein Gegenüber sah das und beschloss, auf die Sektwette zu verzichten. Er stand auf und machte sich auf den mühsamen Weg, die Treppe nach oben zum zweiten, noch saubereren Badezimmer. Die vom Schnee und nicht näher identifizierbaren Flüssigkeiten durchweichten Antifa-Flugblätter eines weiteren Insassen der Sektwette waren quer über die Treppe verstreut. Das Bad oben war tatsächlich weitestgehend sauber.
Als er wieder ins Wohnzimmer kam, war die Sektwette erledigt. Drei der ehemals sechs am Tisch sitzenden hatten jeder eine Flasche genommen und nach wenigen Schlucken große Champagnerdusche in der Küche nachgespielt. Ein weiterer Ort, der in dieser Nacht gemieden werden wollte. Der Typ mit dem Gummibärchendöner saß zufrieden in einer Ecke und verfolgte mit müden Augen orientierungslos die Fische im Aquarium, die den Abend irgendwie überlebt hatten.
Der Antifa-Flugblattverteiler nahm ihm die qualmende Schabe aus der Hand und nahm einen Zug. Er war gegen Alkohol. Aus gesundheitlichen Gründen. Der letzte verbliebene, der gerade aus dem ersten Stock - einer scheinbar noch heilen Welt jenseits vom Elend der ausklingenden Party einer orientierungslosen Jugend aus der Mitte des Nichts - heruntergekommen war, teilte einige letzte Züge mit dem Antifa-Flugblattverteiler. Ein Ellbogen in die Seite des Typen mit dem Gummibärchendöner.
"Ey! [][][], lass ma gehen!"
Der Antifa-Flugblattverteiler nickte und drückte den J in den nächsten Blumentopf. Zusammen schleppen sie das Döneropfer an die Winterluft. Dann machten sie sich auf den Weg. Dreieinhalb Kilometer zu Fuß. Der Antifa-Flugblattverteiler verabschiedete sich auf halbem Weg. Sein Fahrrad stand am Rathaus. Er hatte nicht getrunken, er konnte noch fahren...
Die anderen beiden gingen wortlos in die Nacht. Irgendwann sah der mit dem Döner auf: "Ich merk den Fressflash jetzt!"
"Du hattest grad nen Döner!" ein Blick auf die Uhr, "naja, vor zwei Stunden..."
"Lass mal zu mir, wir haben Pizza."
Gegen halb sieben morgens war die Pizza dann fertig. Sie saßen in der Küche und wunderten sich über ihre eigene Nüchternheit.
"Wann gehen wir zu {}{}{} zum Aufräumen?"
"Glaubst du, da lässt sich vor Abend aufräumen?"
"Sind wir vorher wach?"


--- Die Antwort war "Nein."
Wir hatten ganze drei Stunden, das halbe Haus mit sieben Leuten in Ordnung zu bringen, von denen drei besser nicht gekommen wären, da sie das Chaos eigentlich nur noch schlimmer machte. Als die Eltern von {}{}{} klingelten, schaukelte gerade das letzte Bild an der Wand, dass wir vor der Party klugerweise abgenommen hatten. Eine halbe Stunde waren wir damit beschäftigt mit allen sieben Leuten zu diskutieren, wie denn der Marmor-Tisch, den wir ebenfalls vorher sicherheitshalber in einer Abstellkammer verstaut hatten, vorher stand. Der Tisch ist asymmetrisch, es wäre durchaus aufgefallen, wenn der plötzlich andersrum stehen würde...
Später haben wir dann erfahren, dass der Tisch tatsächlich am richtigen Platz war, auch die Bilder an den Wänden hingen gerade, nur... leider hatten wir sie teilweise vertauscht... Das war nicht so schön...

Es ist irgendwie erschreckend, dass man sich nach zehn Jahren noch an so etwas erinnert und tief im Inneren immer noch Kopfschmerzen bekommt... Aber wenn wir irgendwan mal ganz groß rauskommen, als Band, dann kann ich sagen, ich hatte das Klischee-Rock'n'Roll-Leben eben schon mit 15. Nur ohne Nutten.

Allerdings fallen solche Erinnerungen leichter, wenn man von einem alten Weggefährten dieser Tage erfährt, dass er mittlerweile aus einem jahrelangen Drogen- und Persönlichkeitsstörungsexzess erwacht ist und sein Leben bestens zu meistern scheint... Der Kontakt ist zwar seit Ewigkeiten gerissen, aber das Überleben ist, was zählt. Zumindest wenn man seine Jugend am Arsch der Welt verbringt...


[PS: Nein, ich war nicht der, mit den Gummibärchen im Döner. Ich habe meinen Döner normal gegessen, weil ich mir vorher schon den Magen damit verdorben habe, dass ich Lakritzschnecken in Cola-Vodka auflösen wollte... hm-hm-hm macht Kinder froh... ne?]


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Sonntag, 28. Oktober 2007

"conscious life for coma boy"

Geschrieben von sjAlfur unter 2046

A potent mix of wonder
Ignorance and fear
A place to hide under
A secret place to keep
Self-serving answers
Paper-thin belief
Come bury your soul with me

I know I'd like a conscious life
I don't know how to get there
I don't know how to get there
So keep me right
We're wasting time
I don't know how to get there
I don't know how...

Awaken
Stand up and fight
For all you've yet to know
Coma boy


[ "conscious life for coma boy" - aereogramme ]


Was immer gleich bleibt, sind die Grenzen. Als Kind sah ich zum entfernten Waldrand und wusste, eines Tages weiß ich, was dort hinter liegt. Wir wohnten im Odenwald mit seinen Hügeln und engen Tälern, der Horizont war ebenso nah wie der nächste Waldrand, weit blicken konnte man dort nicht (was man an einigen Bewohnern dort auch immer wieder feststellen musste... sie konnten eben nichts dafür, dass sie so scheiße waren... [ist "scheiße" klein geschrieben eigentlich ein Adjektiv?]). Die Grenzen waren nah und erreichbar. Irgendwann. Wir gingen oft spazieren in der Zeit, streiften Waldränder, durchbrachen sie, setzten Fixpunkte wie Knoten in einem neuronalen Netz. Vom Zimmerfenster meiner Schwester aus sahen wir hinter dem Neubaugebiet den Funkumsetzer auf einer kleinen grünen Wiese direkt vor einem Waldrand. Mein Vater hatte mir schon oft erklärt, dass der hohe Mast, an dem wir an dem ein oder anderen Sonntag vorbei gingen und der auf einer weiten, großen grünen Wiese stand, die sich in unendlich scheinender Ferne ins Tal beugte, genau der Umsetzer war, den man von zu Hause aus sehen konnte. Ich wusste das. Ich glaubvte es aber nicht sofort. Die Wiese schien von unserem Haus aus so klein, ebenso der Umsetzer. Und das Haus war so groß (jedenfalls ein Vielfaches unserer Wohnung, in der ich mit meinen Eltern und meinem Bruder bis zur Geburt meiner Schwester gelebt hatte). Das Verhältnis musste sich erst zurechtrücken.
Als ich irgendwann die Bezüge hergestellt hatte, wie ich mich in meinem Zimmer in unserem Haus in der großen weiten Welt ( = von hier bis zum nächsten Waldrand/Horizont) verankern sollte, zogen wir um. Im Norden waren die Ebenen weiter, die Hügel vergleichsweise lächerlich (auch wenn ich diese Ansicht beim Radfahren hin und wieder etwas relativiert habe... tückisch!)... die Sicht war weiter, mein Verständnis auch. Und trotzdem gab es Grenzen. Ich suchte mir zu der Zeit die Waldränder, die den Weg vom Unbekannten dahinter trennten. Die in Waldstücke gerodeten kleinen Weiden mit ihren knorrigen Zäunen, die wie ein Puffer zwischen mir und dem Dunkel der Tannen lagen. Und der ferne Horizont war noch immer die Grenze. Lange Zeit...
Als Kind stellte ich mir vor, wie es wohl wäre, in einen dieser Wälder zu gehen und irgendwo herauszukommen, wo noch niemand gewesen ist. Später stellte ich fest, dass ich nur auf den Globus meines Bruders sehen musste um festzustellen, dass ich wohl irgendwann wieder an einen bekannten Ort kommen werde. Es gab nichts neues mehr, und der Gedanke war verstörend.
Sehr viel später stellte ich dann fest, dass es nicht die unbekannte Weite dahinter, sondern der unbekannte Kern ist, der das eigentlich faszinierende sein muss. Ein Wald kann mir von allen Waldrändern ringsum bekannt sein, doch sein Inneres sehe ich erst, wenn ich die Grenze, den Waldrand überschreite.

Und so ist es heute, solange es noch auch nur den kleinsten Quadratmeter auf dieser Welt gibt, den ich nicht betreten habe, brauche ich mir um die Langweiligkeit der Welt keine Gedanken machen. Und das sollte mich die nächsten paartausend Jahre beschäftigen, denke ich. Und irgendwie liegt in dieser (zugegeben: nicht besonders intelligenten) Einsicht etwas, was sich übertragen lässt... Ich weiß noch nicht wie, aber ich komme schon noch dahinter...


Xylo


[ edit ]

Nostalghia

Geschrieben von sjAlfur unter 2046

Beginnen wir mit Berlin. Als ich mit der S-Bahn durch die Stadt fuhr, kam mir die - vermutlich sehr ausgetretene - Idee, Fotos zu machen und sie nebeneinander zu stellen. Links die Bauruinen, rechts die modernen Bauten, die in der Realität bunt gemischt nebeneinanderstehen. Zwein Herzen in einer Brust, in vielerlei Hinsicht, ist ja bekannt. Wobei, wie ich im Beitrag zuvor festgestellt habe, es müssten eher zwei Pulsschläge in einem Handgelenk sein. Oder einfach nur das linke und das rechte? Irgendwo (spätestens) hier beginnt der Vergleich zu hinken. Deshalb lass ich das mal lieber.

Wenn man mit der Bahn fährt oder die belebteren Straßen betrachtet, bekommt man ein Bild von der Stadt. Natürlich behaftet mit Vorurteilen und Klischees, aber es ist ein Eindruck, kein wissenschaftlicher Bericht. Und die alten Menschen auf den Straßen, in den Geschäften und Bahnen, halten diesem Eindruck einen Spiegel vor.
In Berlin saß ich drei alten Frauen gegenüber, die vermutlich alle jenseits der 80 waren. Achtzig Jahre Berlin, rechnet man das zurück, steht man im Jahr 1927 in einer völlig anderen Stadt. Und auf eine schwer zu benennende, subtile Art kann man den Lauf der Zeit sehen, wenn man in ihre Gesichter blickt. Und dann wechseln sich die alten Bauruinen, einsturzgefährdeten Plattenbauten, modernen, gläsernen Firmengebäude, Bunkertüren im Berliner U-Bahn-System, Lichtinstallationen an der Oberbaumbrücke, von verschiedenster Hand abgerissene Paläste und Schlösser, Fernsehtürme, an der Autobahn stehende Rennstreckentribünen, Tore ohne Mauer und Säulen ohne Sieg in so schneller Reihenfolge ab, dass man sich einen Moment lang fragt, wo in dieser langen Kette an Bildern man eigentlich in diesen Film einsteigen will...

Ich steige hingegen aus und begutachte die Fans von Union Berlin, die dem Ostkreuz schon fast so etwas wie einen Funken Lebensfreude geben. Mein Bruder sagte nur wenige Minuten vorher, dass das Südkreuz wohl so ziemlich der hässlichste Bahnhof sei, den er kenne. Ich war dda schon. Ich kann mich nicht mehr so ganz deutlich daran erinnern, aber... hier am Ostpunkt des Rings ist es auch nicht wirklich schöner.
Ausstieg Storkower Straße. Zu deren Entschuldigung muss man vielleicht sagen, hier waren die Viehhöfe, auch wenn ich nicht weiß, inwiefern das wirklich die Umgebung entschuldigen soll. Am Gelände des Studentenwerks steht ein Schild "Betreten und Befahren auf eigene Gefahr". Am Tag zuvor hat mir Niels erzählt, die leerstehende Häuser neben seinem Wohnheim wären so marode, dass schon hin und wieder Balkone heruntergefallen sind. Ich danke der Tatsache, dass die Balkone auf der anderen Hausseite sind, und gehe weiter.

In Berliner Nostalgie zu verfallen ist gefährlich. Keine Frage. Ebenso gefährlich, wie sie zu ignorieren. Und trotzdem: Wenn es irgendeinen Ort gibt, der allen wochenlangen Depressionen und allen ausufernden, funkensprühenden und selbstzerstörerischen Hochphasen eine Kulisse gibt, dann ist es diese Stadt. Wieviele großartige Ideen, megalomanische Projekte und zum Scheitern verurteilte Selbstheilungsversuche auf halber Strecke im Sande verlaufen können, Berlin zeigt es.
Und so wird es wohl ein weiterer Ort, den ich - wie jeden meiner Wohnorte zuvor - abgöttisch lieben und noch viel mehr hassen werde. Vielleicht intensiver, wer weiß das schon...?


.x... sjÁlfur


[ epilog ]
als ich dan aus berlin fort fuhr, lief im auto "the destruction of small ideas". aber nur ganz leise, eine kleine reminiszenz an mich selbst...

Das Ende der Saison

Geschrieben von sjAlfur unter 2046

"An den verwaisten Fahnenmasten klopfen lose Leinen
Und irgendwo dort drüben schlägt ein Gartentor im Wind.
Wie all diese Geräusche deutlicher und lauter scheinen,
Wenn erst die lauten Stimmen der Saison verklungen sind!"

[ "Ich liebe das Ende der Saison" - Reinhard Mey ]


Wieder zurück im Süden. Eine Woche und sechs Tage, zwei Orte, zwei Meinungen. Ich stand eine Stunde vor der Abfahrt an meinem alten Zimmerfenster im Haus meiner Eltern und sah in das Regengrau, über das schützende Dämmern des Balkonvordachs auf die in Pfützen schwimmenden Äpfel auf dem Wellblechdach des Carports. Ein Blick, der immer mit Nüchternheit verbunden war - meistens in Bezug auf Alkohol, vor allem früher. Heute ist es eher ein Spiegel von Rückkehr. Wie die ganze Stadt (zumindest hält sie sich dafür). Es ist, als könne man für ein paar Tage durch den Rahmen eines alten Fotos treten, das ansonsten irgenwo in einer Kiste auf dem Dachboden verstaubt. Ein Teil des Lebens, ein kleiner Splitter, nicht mehr. Und der ist auch vollkommen ausreichend.
Man trifft andere Statisten dieser Zeit, sucht nach Hauptrollen, die - ist man ehrlich - niemals existierten und fragt nach dem Spin-Off, das soviel interessanter scheint. Manches davon liegt näher, manches... eben nicht. In der Ferne. Man kann es nicht ändern, und das ist auch ganz gut so. Für eine Ration Melancholie reicht es, ansonsten kehren wir zurück zum hier und jetzt...

...das hatte ich - ironischerweise - eine Woche zuvor. Berlin, Drehort vieler Handlungsstränge der sepiafarbenen Serie früherer Tage, ist irgendwie doch wie ein Puls der Welt. Wenn auch nicht das Herz (was für die Welt im Großen und Ganzen wohl auch besser ist...). Einige Erkenntnisse zieht man, ein paar davon sind eigene Beiträge wert, andere sind zu persönlich. Nichts, was ein Weiterschreiben hier rechtfertigen würde...

Die Gelassenheit des angehenden Herbstes jedenfalls wird im Schrank verstaut, sie ruft mir noch dumpf hinterher: "Wir sehen uns im nächsten Frühjahr!" Ich schaue auf die Uhr, dann auf den Kalender und frage mich, was ich wohl an der Zeitumstellung falsch verstanden habe...


.x... sjÁlfur

Samstag, 8. September 2007

FERÐASTI _02

Geschrieben von sjAlfur unter 2046

after years of waiting...
[12. August 2007]

Als Kind habe ich viel gelesen. Sehr viel sogar. Irgendwann habe ich damit aufgehört. Nicht generell mit Lesen, aber mit dem Viel. Früher, da haben viele TKKG gelesen. Ich mochte die nicht. War ja auch sehr unrealistisch, dass vier bedingt intelligente Jugendliche mit antiquierter Vorstellung von Geschlechterrollen reihenweise Fälle lösen. Nee, dann doch lieber sechs Jugendliche, ein Hamster und ein Kater, die nur etwa ein gutes Dutzend Fälle lösen. Das ist gleich viiiel realistischer. Deshalb habe ich "Die 8 vom großen Fluss" gelesen. Das spielt an der Elbe zwischen Hamburg und Glückstadt, bzw. z.T. in Glückstadt. Und seitdem ich die Bücher gelesen habe, wollte ich mal nach Glückstadt. Das ist jetzt gut 13 Jahre her, und wie der Zufall so will, endete unsere erste Tagesetappe nach fast 110 km in Glückstadt.
Die Abfahrt war irgendwie sonderbar. Das Gefühl, dass man jetzt auf Fahrrädern ohne wirkliches Gepäck (von Regenjacken und Flickzeug abgesehen) das Haus für zwei Wochen verlässt... Es gibt einem ein Gefühl dafür, welche Entfernungen wieder nach Hause zu finden in der eigenen Macht liegt. Zudem war es für mich persönlich so ein kleiner Triumph. Ohne Gitarre, Technik und Internet loszufahren... und sich Tage später doch etwas darüber zu erschrecken, dass man ohne diese vermeintlich unabdingbaren Lebensinhalte doch ganz gut leben kann, wenn man nur den Wind im Gesicht und den Sattel unterm Arsch spürt... naja, letzteres ist weniger vorteilhaft, aber wenn man am Ende des Tages etwas eckig zum Abendessen geht, weiß man wenigstens, was man getan hat...
Nach gut zehn Kilometern kamen wir an einer Wiese im Nichts an den Ufern der (dort noch kleinen) Wümme vorbei. Da habe ich mit einigen Freunden früher gezeltet. Die Anekdoten spare ich mir mal, außer dass es nachts über Bierkästen philosophische Gespräche über Trecker gab... es lebe die Landjugend! Naja...
Erstere größere Ansiedlung (ich ignoriere mal Tostedt, wer es kennt, wird wissen warum...) die wir erreichten war Buxtehude. Was ist das eigentlich bitte für 'ne Stadt? Könnte ja ganz schön sein, aber es gibt scheinbar keine sinnvolle Straße durch die Stadt hindurch, auf den wenigen sinnvollen Wegen sind Baustellen in ganzer Breite, und die eigentlich ganz nette Fußgängerzone ist leerer als Good Ol' Schneverdingen bei Nacht... Und Kopfsteinpflaster. Ai Hua wird davon sicher noch erzählen...
Tief im Alten Land dann, trafen wir auf die Südseite der Elbe. Es war Sonntag. Das war gut, solange wir der Elbe fernblieben. Dann aber hieß es gut 40 km lang nur noch durch Touristenmassen schlängeln. Erst am AKW Stade war dann Schluss mit Tourismus. Und schließlich erreichten wir auch Wischhafen und die Elbfähre.
Nachdem ich also auf die Erfüllung dieses Kindheitstraums mehr als dreizehn Jahre warten musste, tuckerte die Fähre nun mit uns (und - in diesem Fall - vor allem MIR) an Bord auf Glückstadt zu...
...wo wir uns auch gleich mal auf der Suche nach der Pension verfahren haben. Aber Glückstadt ist eine Reise wert. Selbst für die überzähligen TKKG-Leser dort draußen.
Achja. Die Pension in Glückstadt... Eigentlich eher nur Gästezimmer... ach keine Ahnung, wo da genau der Unterschied ist... egal. Die waren jedenfalls farblich geordnet. Ein Zimmer blau, eins gelb, eins orange, usw. Zudem hing das ganze Haus komplett voll mit Uhren, die in der Regel auch alle unterschiedliche Zeiten anzeigten... Ich weiß zwar noch nicht genau, was das zu bedeuten hatte, aber ich werde es schon noch irgendwann rausfinden...


sjÁlfur

Donnerstag, 6. September 2007

hjertebarn

Geschrieben von sjAlfur unter 2046

Während ich die Gliederung für meinen morgigen Vortrag machen sollte, schlichen sich in die Gliederungspunkte einige Schlagworte, die mehr von dem beeinflusst waren, was ich gerade hörte, als von dem, was ich gerade dachte. Und irgendwie landete ich bei einer Geschichte, die mir als Kind so oder so ähnlich durch den Kopf gegangen ist. Ich hatte keine imaginären Freunde, wie es bei Kindern ja häufig üblich ist (dazu waren meine Geschwister auch viel zu präsent...). Aber ich hatte sowas wie einen imaginären Held, der irgendwie ich selbst war... Die Geschichte handelte von diesem...

12.) ...Kind, das mit einer Kerze und einem Eimer Wasser durch die Stadt lief. Die Kerze zu schwach um die Feuer zu legen, die es mit dem zu kleinen Eimer Wasser nicht löschen konnte, aber wollte. Willkommen im Mühlwerk der großen Politik,...
13.) das Kind blieb vor dem Rathaus stehen. Die Kerze tropfte ihren Wachs auf die durchfrorenen Finger. Ein Blick in die Flamme und das Kind ließ den Eimer los. Er zerbarst am oden und das Wasser floss über das eisig glitzernde Pflaster...
14.) Das Kind ging mit der Kerze nach Hause. Auf dem Rückweg hielt es auf einer Brücke inne und sah hinunter in den tiefen Fluss. Da wusste es, wie es die Kerze vorm erlöschen retten konnte. Es stieg über das Brückengeländer und sprang in die dunklen Fluten. Eine Kerze als Flamme im Dunkeln...



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Cody (Gast) - 22. Juli, 13:55
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Aktuelle Frage: Was ist eine Schmidtbrille? .x...sjál fur
sjAlfur - 25. November, 15:27
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sjAlfur - 21. November, 16:23
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AiHua - 19. November, 12:25
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sjAlfur - 19. November, 11:09
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