Die Frage zur Nacht 5
Geschrieben von sjAlfur unter Die Frage zur Nacht
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48°10'23"N - 11°33'02"O - Blickrichtung: Süd
Das Zelt stand noch da, doch ich war nicht mehr darin sondern davor. Der Tag war heiß. Wir hatten die kühle Hölle des unterirdischen Aquariums verlassen und saßen auf den warmen Steinstufen oberhalb des Sees. Eine Woche zuvor hatte ich dort im Zelt auf der Bühne gesessen und meinen Blick über die vereinzelten Personen schweifen lassen. Blickrichtung: Nord. Ich hatte mich gefragt, warum um alles in der Welt die ein paar Stagehands beim entspannten Verkabeln der Wedges zusehen...
So ändert sich die Ansicht. Als wir dort saßen, war die Bühne noch leer. Niemand arbeitete dort, aber immerhin war es warm und sonnig. Ich stellte mir die Frage, ob es nicht ebenso unverständlich sei, dass Leute vor einer leeren Bühne im Regen sitzen, wie wenn ich vor einer leeren Bühne in der Sonne sitze. Aber meine Schwester war zu Besuch. Und wann immer meine Geschwister in der Nähe sind, wird das Leben entspannt. Ich weiß nicht warum, vermutlich ist das so eine genetisch festgelegte Familien-Chemie, die dafür sorgt, dass die Zeit einfach mal etwas langsamer läuft...
Außerdem hatten wir etwas zu essen und mussten uns damit schließlich irgendwo hinsetzen. Das war dann auch Grund genug, den Gedankengang zu beenden.
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48°09'39"N - 11°33'48"O - Blickrichtung: Süd
Es gibt Orte auf der Welt, für die braucht es kein besonderes Ereignis, keinen interessanten Moment. Sie haben ihr eigenes Flair. Dieses umfing uns, als wir an einem Samstag aus der Tram stiegen. Die Fahrt vom Schlosspark war lang genug, um wieder halbwegs aufzutauen. Spätherbst und kühler Wind. Wir waren auf dem weg nach Hause. Knapp zehn Quadratmeter. Doch wir hatten den Schlosspark adoptiert. Es war unser Garten, und der war groß genug um uns beide zu fassen.
Dieser Ort hier ist die Schnittstelle. Der Übergang einer Welt voller Weite und Gedanken in eine Welt voller Enge und Wirklichkeit. Und an dieser Schnittstelle bleibe ich noch heute stehen und frage mich, was mit mir passiert, wenn ich eine Welt verlasse und eine andere betrete. Es gibt viele dieser Schnittstellen, und es scheint so, als ändert sich ein Teil meines Wesens an jedem Übergang. Ich bin nicht ich bin nicht ich bin ich... und so weiter. Vielleicht sind es die Welten, die ich überwinden muss, um irgendwann einen klaren Blick auf das Ganze zu bekommen, aber vorerst bleibe ich an meiner Schnittstelle und beobachte meinen kondensierenden Atem.
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